Kapitel 5: Stars cannot shine without Darkness
Nia
war speiübel, als sie auf die hölzernenTüren der Sporthalle
blickte. Neben ihr schlängelte sich ein provisorisch an Stühlen
befestigtes Absperrband. In regelmäßigen Abständen hing ein weißes
Blatt mit den verhängnisvollen Worten daran:
"Bitte Ruhe! Abschlussprüfung!"
Das Mädchen wusste gar nicht mehr, wie ihr zumute war. In einer Sekunde war ihr kochend heiß und ihr Herzschlag beschleunigte sich derart, dass ihr schwindlig wurde. In der nächsten Sekunde hatte sie Schüttelfrost. Ihr Magen krampfte sich zusammen und ihr wurde schlecht vor lauter Nervosität. Absolut nichts wusste sie! Ihr Gehirn war leergefegt wie ein Tresor nach einem Überfall und selbst auf die Frage hin, wie sie hieße und wie alt sie sei wüsste sie gerade keine Antwort. Was, wenn sie nicht bestand? Oh Gott, warum mussten sie Mathe schreiben? Warum musste man überhaupt Mathe schreiben? Nein – wozu gab es überhaupt Abschlussprüfungen? Konnte jetzt nicht einfach ein Meteorit herabschnellen oder die Zombieapokalypse ausbrechen? Für beide Fälle fühlte sie sich gewappneter als für die Matheabschlussprüfung!
Eiskalte Fingerspitzen krallten sich in ihre Brust und sie bemerkte gar nicht, wie sich die Türen öffneten und Katja sie sanft in den Arm nahm. Mechanischen Schrittes ging sie hinter einem großen blonden Jungen hinterdrein, den sie aber nicht wahrnahm. Cedric Urs blickte besorgt über die Schulter auf das aschfahle, zitternde Mädchen. Selbst mit einer ganzen Packung Beruhigungsmittel hätte man sie wohl kaum noch geradebiegen können.
Während Nia über die verhängnisvolle Schwelle der Halle trat, ließ sie die letzte Woche Revue passieren. Wo war nur die Zeit geblieben?
________________________________________________________________
Letzte Woche.
Selbst jetzt noch spürte sie das Herzflattern. Fast hätten ihre Knie nachgegeben, als sie Salvatores Worte vernahm. Er hatte sich bei ihr entschuldigt und nach einem gemeinsamen Ausflug an die Uni zu einer öffentlichen Vorlesung gefragt! Oder kurz gesagt: Sie hatte ein Date mit Salvatore Zefalus. Ihrem Schwarm!
Ein D-a-t-e! Eines dieser magischen Events der Teenagerzeit, die man sich nicht vorstellen kann – erst recht nicht mit dem Jungen, den man mag. Und erst recht nicht mit dem Schulschwarm!
Keine zehn Sekunden nachdem Salvatore aus ihrem Blickfeld verschwunden war, kam Katja angerannt. Sie flog regelrecht über den Schulhof auf sie zu – beachtliche Leistung dafür, dass sie sonst eher im hinteren Drittel beim Sport war. Atemlos hielt ihre beste Freundin vor ihr an, ihre Wangen glühend, ihr Blick hocherregt. Ihre feingliedrigen Finger umfassten Nias Schulter fest. In ihrem Gesicht stand nur eine Frage geschrieben, die sie auch nicht auszusprechen brauchte. Es war einfach viel zu offensichtlich und zudem könnte das schwarzhaarige Mädchen eh nicht lange hinterm Berg halten.
"Er... Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm eine Vorlesung zur japanischem Mythologie besuchen möchte.", flüsterte Nia tonlos mit entrücktem Blick auf der Stelle, wo Salvatore soeben noch gestanden hatte. Unverwandt und stürmisch umarmte Katja sie und jubilierte. "Oh mein Gott, Nia!! Du hast ein Date mit Salvatore Zefalus!!!", brüllte sie aus voller Kehle, sodass ich ihre Stimme am Satzende förmlich überschlug. Katja musste direkt husten, weil sie ihre Stimmbänder überstrapaziert hatte. Erst jetzt stahl sich ein kleines und schließlich ein immer strahlenderes Lächeln auf die Lippen der schüchternen Schülerin. "Ja! Ja, das hat er!", wisperte sie atemlos und erwiderte die Umarmung.
"Ich werde dich so herausputzen, dass er direkt auf die Knie fällt und dich anfleht ihn zu heiraten, sobald er dich sieht!", stieß Katja mit einem triumphalen Grinsen aus. Nia wurde allein bei dem Gedanken puterrot. Sie konnte sich nicht einmal ein Date mit ihm ausmalen, geschweige denn eine... eine... Heir-! Ihre beste Freundin bemerkte ihren Blick und lachte aus voller Kehle. "Du bist so niedlich, dich würde man sogar heiraten wollen, wenn du in einem Kartoffelsack ankämst! Und keine Sorge: Kein Junge ist so voreilig wie ich es bin!" Sie klopfte dem schwarzhaarigen Mädchen kräftig auf die Schulter und murmelte: "Was eigentlich vergeudete Zeit ist, wenn man den Richtigen gefunden hat."
Nia nickte stumm und glühte direkt. "Er hat sich auch für gestern entschuldigt, stell dir vor!" Plötzlich legte Katja ihre makellose Stirn in Falten. "Gestern?", echote sie und Nia schlug sich mit der Hand vor den Mund, nachdem die Brünette die Umarmung etwas gelockert hatte.
Mit niedergeschlagenen Augen erzählte sie ihr von den schrecklichen Ereignissen des gestrigen Tages. Dabei knetete sie sich die kalten Fingerspitzen.
Als ihr Bericht ein Ende fand, konnte Nia direkt die abstrahlende Hitze von Katjas kochendem Blut spüren. Ohne Probleme hätte sie zweibeinige Wärmflasche oder als Heizkraftwerk verwendet werden können. Ihr Ausdruck war finster und tödlich. Ihr ganzes Gebaren hatte etwas furchterregendes und vorbeigehende Schülerinnen und Schüler zuckten zusammen, als sich ihre Blicke mit dem von Katja kreuzten. "Das werde ich ihnen niemals verzeihen...", knurrte sie kaum hörbar und Nia legte vorsichtig ihre zitternde Hand auf die Schulter ihrer besten Freundin.
"Du kannst von Glück sagen, dass Cedric Urs dir zuhilfe gekommen ist, sonst...", verhängnisvoll verschluckte sie den Rest des Satzes und schaute in die meerblauen Augen von Nia. "Nur weil sie sich nicht wehren kann...", dachte Katja grimmig und betrachtete den zierlichen Körperbau und die verschreckten, großen Kulleraugen des schwarzhaarigen Mädchens. Es war ohnehin verwunderlich, dass Nia nicht schon ganz allgemein Zielscheibe von Gemeinheiten worden war – sie war einfach das "typische Opfer", wie Katja es aus anderen Fällen kannte. Sie hätte sich am liebsten selbst auf die Schulter geklopft, dass sie bislang alle Übergriffe mit ihrer bloßen Anwesenheit abgewendet hatte... Aber das ausgerechnet so etwas passierte, wenn sie mal einen Tag lang nicht anwesend war...! Ihre Denkfalten wurden noch tiefer. Cedric Urs hatte sie also beschützt, obwohl Nia ihn wirklich mit einer Leidenschafft hasste, die sie von ihrer besten Freundin her gar nicht kannte... Und es war auch jener Cedric Urs, der die "beauftragten" Karteikarten in ihren Spind schmuggelte. Das war äußerst dubios, aber sie konnte sein Verhalten noch nicht eindeutig einschätzen.
Kurzerhand beschloss Katja, das ganze noch ein wenig zu beobachten. Nia hatte keine Ahnung, dass ihr Banknachbar dahintersteckte und Katja wollte herausfinden, ob dort gewisse Gefühle im Spiel waren... Insgeheim grinste sie bei dem Gedanken darüber. Cedric Urs war wirklich ein schneidiger Bursche – wäre er nicht so eiskalt und abweisend sowie sozial inkompetent, wäre er wie Salvatore Zefalus ein wahrer Frauenschwarm! Tja, selbst Schuld. Allerdings sah sich Katja noch nicht veranlasst, dem einen oder anderen kampflos das Feld zu räumen – an die süße Nia kam so schnell niemand heran, ohne sich als würdig erwiesen zu haben!
Als ihre beste Freundin sie umarmte, wurde sie aus ihrem Gedankensog gezogen. Ihr finsterer Blick hellte sich auf. "Sorry meine Hübsche! Lass uns den heutigen Tag schnell hinter uns bringen und dann werde ich dich in eine Prinzessin verzaubern, verlass dich drauf!", strahlte sie wieder über beide Ohren, als wäre der tödliche Blick soeben nur Einbildung gewesen. Fröhlich nahm sie Nia bei den Händen und schleifte sie in Richtung Klassenzimmer – natürlich nicht ohne sie vorher geschickt an ihrem Spind zu postieren. Sehr geschäftigt verabschiedete sich Katja schon mal in den Klassenraum und ließ Nia allein stehen. Ohne nachzudenken öffnete die Schülerin ihr Schließfach, wobei ihr wieder die altvertrauten Karteikarten entgegenflatterten. Seltsamerweise hatte es inzwischen nichts beunruhigendes mehr an sich, sondern eher etwas tröstendes: Es gab jemanden, der sie anscheinend fördern wollte. Schnell wandte sie ihren Blick nach links und rechts und las die Tagesaufgaben. Sofort verzog sie seufzend die feinen Gesichtszüge und kritzelte resigniert etwas darauf. Nachdem sie die Karten geschickt so eingeklemmt hatte, dass sie von einem Wissenden herausgezogen werden konnten, schloss sie das Fach 3107 wieder ab.
________________________________________________________________
Katjas Gedanken rasten.
Schwarze Haare, blaue Augen, filigrane Statur. Ein Kleid. In meerblau, wie ihre Augen. Am besten mit einer schwarzen Schleife wie ihre Haare. Nein! Frustriert kaute sie auf ihrer Lippe herum. Kalte Farben standen Nia nicht... Es musste etwas warmes sein... so wie... ein strahlendes Kanariengelb! Ein Hängerchen mit einer schwarzen Leggins. Katja raufte sich die Haare. Niemals! Nia war überhaupt nicht der Typ für gelb! Das wirkte so aufgezwungen – sie war eher der schüchterne Typ, der keine knalligen Farben trug.
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Rosa! Ein rosa hautenges Spagetthiträgertop mit V-Ausschnitt und dazu eine blaue, hautenge Jeans mit Strass an der Seite... Und zur Abrundung eine strahlende Swarovski-Haarspange! Jawohl, das war es! Katja strahlte wie ein Atomkraftwerk. Gott, wie sie ihre genialen Ideen liebte! Nia wird fa-bel-haft aussehen! Dieser moderne Touch kombiniert mit ihrer vorteilhaften Figur würde Salvatore Zefalus wortwörtlich in die Knie zwingen! Ha! Das würde sie gerne sehen! Einen sprachlosen Schulschwarm, der das Stottern anfing! Siegessicher und schnaubend vor Stolz ballte Katja die Fäuste. Das nächste Mal wollte sie mit Katja Lagerfeld angesprochen werden, wenn sie bitten durfte!
Mit diesen genialen Gedanken hatte sie den ganzen Vormittag verbracht und inzwischen hatten sich Nias und ihre Wege getrennt.
Beschwingt und leise summend trat sie in den Raum 301, wo ihre zusätzlichen Musikstunden stattfanden. Das Wahlpflichtfach startete gegen Abend. Noch war niemand da und sie ließ sich auf ihren Platz am Fenster fallen. Selbstzufrieden seufzte sie und beobachtete den wolkenfreien Himmel. Belustigt dachte sie an die kleine Szene heute in der Pause... eines Tages würde sie auch solche Gespräche mit Nia führen, so viel war sicher!
Dani, die modebewusste Puppe aus ihrer Klasse hatte ihren beiden Freundinnen Lea und Tamara ihre neueste Errungenschaft präsentiert. Verheißungsvoll hatte sie etwas zwischen beiden Händen gehalten und hatte verschwörerisch geflüstert: "Ihr wisst gar nicht, wofür ich gestern all mein Taschengeld auf einen Schlag ausgegeben habe!" Lea hatte große Augen gemacht. "Etwa die neueste Tasche von Oilily?!" "Oh Lea!", hatte Tamara lachend gestöhnt, "das würde wohl kaum zwischen ihre Hände passen, du Dummerchen!" Jetzt lachten sie alle. "Ich dachte fast, ich müsste es mit purem Gold aufwiegen!", stachelte Dani die anderen weiter an und Katja konnte sich ein Lächeln nicht mehr verkneifen. Selbst sie war neugierig. Bevor die Spannung unerträglich wurde, öffnete sie mit einem laut ausgestoßenen "Tada!" die Hände und präsentierte einen Lippenstift. Zuerst waren sie etwas verdutzt, aber dann fingen sie an, durcheinander zu kreischen. "Oh mein Gott, es ist ein Lippenstift von Dior!" "Diorific mit der sagenhaften Farbe 'Sipping Cognac'!" Die beiden rissen sich förmlich gegenseitig den heiß begehrten Lippenstift aus der Hand. Er sah wirklich hübsch aus, das musste Katja gestehen. Allein das goldene Design mit dem braun wirkte unglaublich kostbar. Sie amüsierte sich köstlich darüber... Nur Frauen konnten sich so über ein Stück gefärbtes Erdöl erfreuen! Leider zeigte Nia so gar kein Interesse an Mode... Nein, das war falsch ausgedrückt: Sie mochte Mode, sie sprach aber kaum darüber und aufgrund mangelnden Geldes konnte sie sich auch nichts kaufen. Seufzend griff sie zu ihrer Schultasche, um ihre Notenblätter herauszufischen. Erschrocken riss Katja ihre Augen auf. So ein Mist, die hatte sie glatt im Klassenzimmer vergessen! Das kam davon, wenn man sich auf das Dateoutfit für die beste Freundin konzentrierte – oder auf Lippenstifteinkäufe diverser Klassenkameraden.
Wenig motiviert schlurfte sie die Gänge entlang, als sie ins verlassene Klassenzimmer tappte. Das feurige Abendrot raubte Katja kurzzeitig die Sicht. Geblendet hielt sie sich die Hand vor die Augen. Innerlich fuhr sie zusammen, als sie eine große, dunkle Gestalt am Fenster stehen sah. Noch hatte er sie nicht bemerkt und gerade, als sie ihn begrüßen wollte, blitzte ein goldener Gegenstand ihr entgegen. In der nächsten Sekunde war er in seiner Hosentasche verschwunden. Das... war doch der "Sipping Cognac" Lippenstift von Dior gewesen, oder...? Katja sog die Luft scharf ein. "Lorcan Medic!", sagte sie freundlich, doch er zuckte zusammen, als wäre er geschlagen worden. Er wirbelte herum. Seine Augen waren furchtvoll geweitet und ohne ein Wort stürzte an der Brünetten vorbei. Es war erstaunlich, wie jemand sich mit der Körpergröße so schnell und geschmeidig bewegen konnte. Im letzten Augenblick sah Katja noch, dass seine Lippen seltsam aussahen...
Als er verschwunden war, blinzelte sie zweimal. Was war denn das gewesen? Einbildung? Oder... Katja geriet ins grübeln. Nein, es gab kein Zweifel.
Beherzt griff sie nach ihren vergessenen Notenblättern unterm Tisch und klemmte sie sich unter den Arm. Als der Gong ertönte wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Mist, jetzt kam sie doch zu spät!
________________________________________________________________
Den Abend und auch die nächsten Tage verbrachte Katja damit, Nia zurechtzumachen. Obwohl sie das Outfit bereits festgelegt hatte, war immer die oberste Devise: Schauen, ob es nicht noch etwas viel besseres gibt! Inzwischen war das ganze Stockbett voller T-Shirts, Trägertops, Tanktops, Hängerchen, Kleider und Spagetthishirts in allen Formen und Farben. Katjas Kleiderschrank hatte ungeahnte Tiefen und sie wurde nicht müde, immer neue Kombinationen auszuprobieren. Auf dem weißen Parkett mit dem hellbraunen Flauschteppich hatte sie ihre sämtlichen Schminkutensilien ausgebreitet, wobei Nia immer leuchtendere Augen bekam. Gerade befand sich Katja im Eingangsbereich, wo sich ein Kleiderständer inzwischen förmlich bog, während sich die Brünette durch ihren perlweißen Schuschrank fräste. Eine grüne Kokosmatte hieß Bewohner sowie Besucher herzlich willkommen. Geradeaus befand sich ihr gemeinsames Schlaf- und Arbeitszimmer mitsamt deckenhohen weißen Kleiderschränken. Diese waren nun sperrangelweit offen und der gesamte Inhalt befand sich mehr außerhalb als innerhalb der Schränke verteilt. An der Tür hing ein riesiges Poster der beiden, welches wie das eines Stars signiert worden war. Nia war das nach wie vor furchtbar peinlich, aber Katja liebte es einfach nur, so etwas ausgefallenes zu tun. Unzufrieden mit ihrer Suche eilte sie schnellen Schrittes nach links ins relativ kleine Bad. Durch die goldgelbe Farbe strahlte es auch bei Nacht einem förmlich entgegen. Die gläserne Duschwand war verziert mit allerlei Window Colour Motiven, darunter auch zahlreiche Hello Kitty Motive. Eine Seite hatte Katja beansprucht und die Anfangszeilen der Mondscheinsonate angezeichnet. Neben dem Spiegel befand sich ein offenes Regal, welches voll mit Duftölen war. Rose, Veilchen, Vanille, Kokos, Mango, Honig... Katjas Sammlung war vielfältig und es war auch das ein oder andere skurille Exportexemplar dabei. Bis heute war der "Hähnchenduft" von beiden Mädchen unangetastet. Zielsicher griff die braunhaarige Schülerin nach einem geschwungenen, lilafarbigen Glas. "Flieder ist perfekt!", rief sie vom Bad aus der wartenden Nia zu. "Flieder steht in der Blumensprache für die erste Liebe!"
Katja konnte regelrecht spüren, wie Nia bis in die Haarspitzen rot wurde. Sie lachte herzhaft. "Jetzt komm schon, welcher Junge beherrscht schon die Blumensprache und sieht es gleich als subtile Botschaft?"
________________________________________________________________
Erst jetzt, ein paar Momente vor der Matheabschlussprüfung, welche einem Weltuntergang glich, fiel ihr all das ein. Die Geschehnisse der letzten Woche.
Und mit lauter unsinnigen, unwichtigen, nebensächlichen, oberflächlichen Kleinigkeiten bezüglich des Dates war die Zeit wie im Flug vergangen. An Lernen war kaum noch zu denken und man wähnte die Abschlussprüfungen noch in weiter Ferne. Es wurden sogar verschiedene Konversationsmöglichkeiten durchgeprobt und vor lauter Schmetterlingen im Bauch wusste Nia weder aus noch ein. Selbst nachts war kaum an Schlaf zu denken – ihre Gedanken überschlugen sich regelrecht bei dem bevorstehenden Ergeignis namens Date. Dennoch trübte etwas Nias gespannte Vorfreude – auch wenn es nichts mit der eigentlichen, größten Sorge zusammehing. "Was ist, wenn die Gerüchteküche uns wieder auflauert?", meinte sie besorgt und ließ den Kopf hängen, während sie nervös ihre Hände knetete.
"Ich werde sie alle erschießen!", dröhnte Katja laut und Nia lachte nervös mit. Sie wusste nicht so recht, ob das wirklich als Scherz gemeint war...
Mit schweißnassen Händen und rauschendem Blut in den Ohren zogen diese Szenen an Nias innerem Auge vorbei, während die Papierbögen und die Angaben ausgeteilt wurden. Die kommenden Stunden würden über ihr Schicksal entscheiden und sie fühlte sich, als würde sie dem Tod ins Auge blicken, als sie die Bögen auseinanderfetzte. Sie musste es mehrmals lesen, bis einigermaßen angekommen war, um was es eigentlich ging. Mit wild klopfendem Herzen erkannte sie, dass sie das ein oder andere im Ansatz schon mal gehört oder gelesen hatte... Wie auch auf den zahlreichen Karteikarten!
Doch die Freude währte nur kurz, denn es kamen unmögliche Ergebnisse heraus. Nia verkrampfte sich immer mehr. Das konnte nicht sein! Das konnte einfach nicht sein! Ihr Atem ging flach und ihre Sicht verschwamm.
Qualvolle drei Stunden später befand sie sich mit tränenfeuchten Augen und tiefdepressiv in einer dunklen Ecke der Aula. Sie hatte sich hingehockt und ihre Beine umschlungen. Den Kopf hatte sie auf die Knie gesenkt, sodass sie nicht bemerkte, dass jemand an sie herantrat.
"Wie lief's?", erkundigte sich eine raue, dunkle Stimme. Nia reagierte nicht.
Sie hatte alles in den Sand gesetzt. Es war vorbei. Ihr Leben hatte keinen Sinn mehr. Nichts war richtig, sie hätte genausogut das leere Blatt abgeben können! Vor lauter Zittern wusste sie zuletzt nicht einmal mehr, wo die Istgleich-Taste am Taschenrechner war. Panik schoss heiß durch ihre Adern, als sie zum wiederholten Male dasselbe, ganz offensichtlich falsche Ergebnis herausbekommen hatte.
Plötzlich spürte sie eine Berührung und zuckte zusammen. Ihr Kopf schnellte nach oben und blickte in das angespannte, blond gerahmte Gesicht von Cedric Urs, der sich neben sie gekniet hatte. "Ich hol dir was zu trink'n. Ich lad' dich ein. Du bist ne Süße, oder?", fragte er und massierte sich währenddessen hektisch und verlegen den Nacken. Seine Wangen waren leicht rosé gefärbt. "M-Mit "Süße" mein' ich 'türlich, dass du gern etwas eher süßes trinkst...!" Nia sah seine geröteten Wangen nicht und verarbeitete auch nicht seine Worte. Ohne Anteilnahme nickte sie – es erschien ihr als sicherste Methode, endlich in Ruhe gelassen zu werden.
"Kopf hoch.", hörte sie von weiter oben und das legte bei ihr einen Schalter um. Wütend funkelte sie ihn an. "Kopf hoch?!", knirschte sie, "Ich hab soeben alles in den Sand gesetzt und total verschissen! Ich kann das Jahr mit absoluter Garantie wiederholen, also wie soll ich da "Kopf hoch" machen?!" Die letzten Worte waren nur noch ein einziges Fauchen. Abwehrend hob Cedric die Hände und ging wortlos in Richtung Getränkeautomat davon. Ihre Zukunft lag vor ihrem inneren Auge in Scherben vor ihr.
Erschöpft, wütend, sauer und immer noch voller Adrenalin blickte Nia auf die Uhr und erschrak: Das Date war in wenigen Stunden und sie musste sich noch fertig machen! Jetzt war keine Zeit zum Trübsal blasen, nachdem sie so viel für dieses einzigartige Ereignis bereits im Voraus getan hatte! Sie eilte ohne nachzudenken davon. Cedric sah gerade noch ihre wehenden schwarzen Haare, als er mit einem Pfirsichsaft um die Ecke bog. "... 'Süße'...", flüsterte er und hielt sich den kühlen Saft an die Stirn, um wieder klarer denken zu können. Danach warf er mit trüben Blick den unangetasteten Getränkekarton in den nächsten Mülleimer.
________________________________________________________________
Kurze Zeit nachdem Nia im Mädchenwohnheim gestürmt war, eilte auch Katja zur Tür hinein und warf alles in die nächstbeste Ecke um sich ihrer besten Freundin zu widmen. Das schwarzhaarige Mädchen musste nichts sagen, sie konnte förmlich spüren, wie es ihr während der Abschlussprüfung ergangen war. Stattdessen fokussierte sie nun all ihre Energie auf die finalen Datevorbereitungen.
"Was darfst du auf gar keinen Fall tun?", quetschte Katja sie aus.
"Ich darf nicht stumm wie ein Fisch sein, obwohl ich so nervös bin, dass ich am liebsten in Ohnmacht fallen würde!", antwortete Nia promt und gedrillt.
"Genau! Das ist nämlich deine große Schwäche – stumm vor Nervosität!", impfte sie die Brünette ein letztes Mal, während sie eine Haarsträhne nach hinten mit der Swarovski-Haarklammer befestigte.
Mit Händen in den Hüften betrachtete Katja ihr fertiges Meisterwerk. "Ich würde dich sofort vom Vorlesungssaal ins Bett schleppen, Süße!", kommentierte sie und beobachtete Nias Farbwechsel: Von normalfarben zu tiefem rot. "Was ich damit sagen wollte", entschärfte Katja ihre Aussage und grinste breit, "du bist einfach hinreißend. Man muss dich einfach küssen!" Zur Bestätigung verpasste sie ihr einen dicken Schmatzer auf die Stirn. "Und jetzt lauf!"
Nia nickte und flüsterte: "Wünsch mir viel Glück!"
Mit diesen Worten war sie aus der Tür verschwunden. Katja ließ drei Minuten vergehen, dann schulterte sie ihre Tasche und schlich sich ebenfalls aus ihrem Wohnheim. Ein solches Ereignis konnte sie sich ja wohl nicht entgehen lassen!
________________________________________________________________
Mit bebenden Händen wartete Nia vor dem Eingang der Universität, bei welcher direkt daneben ein französisch angehauchtes Café angebaut war. Von Salvatore war noch keine Spur zu sehen, aber das war auch nicht weiter verwunderlich, da sie über eine halbe Stunde zu früh war. Trotz der schier ewig langen Vorbereitungszeit war sie überpünktlich und das machte sie noch nervöser. Was, wenn er nicht kam? Oder er sie hässlich fand? Um sie herum tuschelten die Leute schon und deuteten mit einer Kopfbewegung auf sie. Sie musste wirklich grausig aussehen, wenn man schon auf sie zeigte! Ach, wenn doch bloß Katja hier wäre und sie beruhigen könnte! Sie strich sich zum hundertsten Mal eine Haarsträhne aus dem Gesicht, als sie eine samtweiche Stimme hinter sich hörte. "Nanu? Ich dachte ich wäre der erste, aber da war wohl noch jemand früher dran als ich!"
Nia wirbelte mit angehaltenem Atem herum.
Er war es tatsächlich! Ihr Herzschlag setzte aus, als sie ihn in einem weißen Hemd und einer schwarzen Hose sah. Das stand ihm unheimlich gut und Nia lief gegen ihren Willen rot an. Am liebsten wäre sie davongelaufen oder stumm geblieben, aber dann hätte sie Katja – zurecht! - gelyncht.
"H-Hallo Salvatore!", fiepste sie und sie biss sich auf die Zunge, "Ich war schon eher fertig und bin deshalb schon früher hier gewesen..." Sehr gut, sie hatte den eingeübten Satz korrekt und ohne Stottern vorgetragen. Katja wäre stolz auf sie. "Ah, ich verstehe!", sagte Salvatore mit einem kleinen Lächeln, "Du möchtest auch gute Plätze sichern, nicht wahr? Komm, hier geht es lang!" Hoffentlich sprachen sie über alles, aber nicht über die Abschlussprüfungen! Doch ihre galante Begleitung verlor zu ihrer Erleichterung kein Wort darüber.
Nia war noch nie an der Universität gewesen und hatte bis soeben auch überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet. Aber als sie die ausladenden, meterhohen Säulen wahrnahm, stand ihr Mund weit offen. Auch die riesige Steintreppe mit dem eingelegten Mosaik und den überdimensional großen, liegenden Figuren am Ende machten sie sprachlos. Während Nia mit glänzenden Augen die gläserne Kuppel betrachtete, musterte Salvatore sie von der Seite. Er war davor im Café gewesen, um sich gegen seinen rebellierenden Magen einen Kaffe zu gönnen. Er hatte einige Minuten überlegt, ob die schwarzhaarige junge Frau vor der Tür Nia sein könnte. Ihre weibliche, aber filigrane Figur wirkten äußerst anziehend in der hautengen Jeans! Erst als er sie auf gut Glück ansprach und sie sich halb umdrehte, erkannte er Nia.
Sein Herz machte einen Satz.
Was büßte ihre Figur bloß in der Schuluniform ein! Dort wirkte sie ja fast wie ein unförmiger Kartoffelsack, wenn er sie jetzt unauffällig anstarrte. Das rosa Top umschmeichelte ihre schlanke Taille und der V-förmige Ausschnitt regte die Fantasie der Männer geradezu an. Er spürte, wie ihm warm wurde. Schnell lenkte er seinen Blick auf ihr Gesicht, ehe sie es bemerkte. Große, meerblaue Augen waren von einem dichten Wimpernkranz umgeben und rostrote Lippen zogen die Aufmerksamkeit regelrecht auf sich. Sein Hals war ganz trocken geworden.
"Wo müssen wir lang?" Salvatore schreckte zusammen, als er Nias fragenden Blick wahrnahm. Mist! Hatte er sich tatsächlich so auf sie konzentriert, dass er vergessen hatte, sie zum Hörsaal zu führen? Der junge Mann räusperte sich. "Dort drüben ist es gleich.", meinte er galant und hatte sich gerade noch rechtzeitig gefangen. Als sie durch die schweren Eichentüren schritten, fing Nia an zu strahlen. "Wahnsinn, das ist ja... riesig...!", stieß sie atemlos aus und Salvatore musste lächeln. Das erinnerte ihn an ihre Begeisterung bei der Dekoration von Katjas Konzert. Es war aber auch wirklich beeindruckend – 700 Stühle standen in Reih und Glied vor einem erhöhten Rednerpult. An der Decke breitete sich der Sternenhimmel der Nordhalbkugel über ihnen aus, wobei nicht nur die Sterne, sondern auch die symbolhaften Sternbilder eingezeichnet waren. Alles schimmerte golden im Licht der Sonne und schaffte seine ganz eigene Atmosphäre. Im krassen Kontrast hob sich die meterhohe Leinwand für die Präsentation ab, auf der der Name der Veranstaltung und des Dozenten stand. Es waren bereits einige Zuhörer anwesend, sodass man bei geschlossenen Augen meinte, man befinde sich in einem Bienenstock.
Die beiden suchten sich einen Platz in den vorderen Reihen. "Besuchst du öfters solche Veranstaltungen?", wollte Nia wissen und ging geistig die ein oder andere auswendig gelernte Frage durch. Einerseits fühlte es sich an, als würde sie schummeln, aber andererseits gab es ihr auch eine gewisse Sicherheit und sie konnte mehr über ihren Schwarm in Erfahrung bringen. Salvatore schlug die Beine übereinander, bevor er antwortete. "Ehrlich gesagt, nein. Ich bin heute zum ersten Mal hier." Nias Augen weiteten sich. "Z-Zum ersten Mal? Aber woher wusstest du dann...?" "Woher ich von der Vorlesung wusste? Nun ja, sie war in der Zeitung ausgeschrieben...", meinte er bescheiden und massierte seinen Nacken. Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Woher wusstest du, wo dieser Saal ist?" Salvatore verharrte in seiner Bewegung und musste lachen. "Aber Nia, hast du die Schilder nicht gesehen?" Nun lief die Schwarzhaarige rot an. Wie peinlich, so eine dumme Frage zu stellen! Verlegen kühlte sie ihre Backen mit ihren Händen, doch es halft nicht wirklich, die Rötung zu verringern.
Beide betrachteten aufmerksam die anderen Besucher und es dauerte nicht lang, da schnappte sich der Professor sein umhängbares Mikrophon und startete seine Präsentation über japanische Mythologie. Nia schien regelrecht jedes Wort in sich aufzusaugen und sie bemerkte Salvatore gar nicht, als er sie fragte, ob es ihr gefiel. Lächelnd lehnte er sich zurück und lauschte dem Vortrag. Gerade ging es darum, dass Speichel und Sekrete ein ganz besonderer Saft in der Myhtologie waren, sozusagen der "Lebenssaft".
Atemlos und mit vor Aufregung geröteten Backen standen sie nach zwei Stunden wieder vor dem Säuleneingang. "Ich hätte nie gedacht, dass der Kampf der Amaterasu gegen Orochi so spannend berichtet und von unterschiedlichen Seiten beleuchtet werden kann! Und dann auch noch der Spiegel im Ise-Schrein über dem 'erlauchten Herzpfosten'! Den würde ich ja zu gerne Mal sehen!", sprudelte Nia regelrecht über. Salvatore lächtelte mild. "Dazu müsstest du Kaiserin werden." Voller Enthusiasmus wandte sie sich ihrem Schwarm zu. "Meinst du, das würde gehen?" Ihre Augen funkelten.
"So wie du heute aussiehst, würde dich jeder gerne zur Kaiserin krönen.", meinte Salvatore und er konnte direkt beobachten, wie Nia erstarrte und rot wie eine Tomate wurde. Verschwunden war ihre wilde, überschäumende Begeisterung, die der schüchternen, verlegenen Nia wich. Ihre Röte steckte an und auch Salvatores Wangen nahmen ein leichtes rosé an. "Ähm, was ich eigentlich fragen wollte...", sagte er und deutete sichtlich verlegen auf das Café, "Hast du vielleicht Lust noch ein wenig im Café zu quatschen?" Nias Herz machte Luftsprünge. Sie nickte so heftig, dass sich eine Strähne aus der Haarspange stahl.
Beide lächelten und machten es sich in der Sonne auf den gepolsterten Holzstühlen bequem. Von innen konnte man Coralie Cléments süß-verträumtes Lied "La Mer Opale" hören. Gedämpftes Geschirrgeklapper und der Duft frisch gerösteten Kaffees vervollkommneten das Bild. Auf der blau-weiß-rot-gestreiften Tischdecke lagen bereits zwei ledergebundene Speisekarten mit der verzierten Goldprägung des Cafénamens darauf: "Le rêve". Nachdem sie die Karten studiert und zur Seite gelegt hatten, kam sofort ein Ober zu ihnen. Seine schwarze Uniform mit der weißen Schürze und einem Schnurrbart verströmten ebenfalls französisches Flair. Mit Freuden notierte er zwei Zitroneneis.
Während sie warteten, drängte sich Nia eine Frage auf: Salvatore sah so gut aus und war der Schwarm aller Frauen des Campus... Er musste doch eine Freundin haben, oder etwa nicht? Es musste sehr offensichtlich gewesen sein, dass sie etwas beschäftigte, denn sanft fragte Salvatore: "Was beschäftigt dich?" Nias Augen weiteten sich erschrocken, als hätte er ihre Gedanken gelesen. "Ähm... nichts, danke!" "Es ist immer bedenklich, wenn Frauen 'nichts' sagen. Dir brennt etwas auf der Seele, das sehe ich!", meinte Salvatore felsenfest überzeugt und stützte sein Kinn auf seine Hand, während er sie schief anlächelte.
"Aber das ist so peinlich, das kann ich nicht fragen!", nuschelte sie und fixierte die Beschwerung der Tischdecken in Form von Eiffeltürmen.
"Jetzt machst du mich erst recht neugierig!", lachte er und seine Augen funkelten dabei verschwörerisch. "Sags ruhig, ich werde auch nicht lachen, versprochen." Nia schaute abwechselnd ihn und wieder die Tischdecke in den Farben der Tricolore an. Anscheinend klaubte sie gerade jeden Funken Mut zusammen, den ihr kleiner Körper innehatte.
Sie holte tief Luft und stotterte: "H-Hast du eine F-Freundin?"
Beinahe hätte Salvatore den Eisbecher fallengelassen, den er gerade dem Ober abgenommen hatte. Mit so einer Frage hatte er in der Tat nicht gerechnet! Er schaute ihr tief in die Augen, während er versuchte das verschüttete Eis unauffällig wegzuwischen. Ein Lächeln umspielte seine moosgrünen Augen. "Hättest du denn gerne, dass ich eine habe?", fragte er stattdessen und beobachtete amüsiert Nias Reaktion.
"Nein!", stieß sie aus und sie lief rot an. "Ich meine... doch, das wäre schön für dich... aber... nein... ich meine... ah... ich weiß nicht...!" Je weiter sie redete, desto kleinlauter und leiser wurde sie. Salvatore wurde ganz warm ums Herz.
Keine fünf Meter weiter stand Katja hinter einer Werbesäule und beobachtete das Ganze. Am liebsten hätte sie vor Freude aufgeschrien, als Salvatore ihre Nia in das Café führen wollte. Zu etwas anderem hätte sie ihm auch nicht geraten, sonst hätte es Tote gegeben! Ihr Lächeln reichte von einem Ohr bis zum anderen, als ihr Atem plötzlich stockte:
War da etwa zwei Meter weiter Cedric Urs am Brunnen, der ebenfalls ganz gebannt Nia und Salvatore im Auge behielt?! Wütend stapfte sie herüber und tippte ihrem Klassenkameraden unsanft auf die Schulter. Schuldbewusst drehte er sich um. "Ich wusste, dass du da bist. Brauchst dir nichts einbilden, ich bin nur zufällig vorbeigekommen." Er seufzte und rieb sich die Nase.
"Klar, zufällig ist man am Ende des Campus bei der Universität, obwohl man als Realschüler gerade seine erste Abschlussprüfung hinter sich hat und eigentlich etwas ganz anderes tun sollte.", feixte Katja und starrte ihn an. Zu der to do Liste nach der vollendeten Abschlussprüfung zählte eher schlafen und Party machen. Wütend stemmte sie ihre Hände in die Hüften.
"Warum duftet Nia nach Flieder?", lenkte der Blondschopf ab, "Das ist doch wohl keine Anspielung auf die Bedeutung, oder?" Die Brünette erstarrte. "Welche Bedeutung?", fragte sie gespielt unwissend, da sie ihren Ohren nicht traute. Cedric wandte sich mürrisch ab. "Blumen haben Bedeutungen. Flieder bedeutet: 'Erste Liebe'. Pah!", schnaubte er. Seit wann kannten sich Jungs mit der Blumensprache aus? Und... wie hatte er das bitte auf die Entfernung riechen können? Das konnte ja kein Mensch! Gerade als Katja etwas erwidern wollte, bemerkte sie seinen starren Blick. Blitzschnell wandte sie sich wieder den beiden Turteltäubchen zu.
Verlegen griff Nia nach dem langen, kunstvoll verzierten Silberlöffel und nahm den ersten Löffel Eis. Man konnte direkt beobachten, wie sie anfing zu strahlen. "Das ist ja total lecker!", freute sie sich und schaute Salvatore mit ihren großen, meeresblauen Augen an. "Ich hab noch nie in meinem Leben Zitroneneis gegessen!" Salvatore hielt mitten in der Bewegung inne und starrte sie an. Wie konnte man sich so niedlich über ein Eis freuen? Seine Hände kribbelten. Es überkam ihn und er erhob sich leicht aus seinem Stuhl, um Nias Kinn sanft anzuheben. Bevor Nia wusste, wie ihr geschah, küsste Salvatore sie. Die Berührung war sanft die ein Schmetterling und gleichzeitig genauso unwirklich. Und es schmeckte nach Zitroneneis. Nia lief über und über rot an und ein ganzer Schwarm an Schmetterlingen tanzte in ihrem Bauch. Ihr Schwarm setzte sich wieder hin. Etwas verlegen verdeckte Salvatore sein Gesicht kurzzeitig mit der Hand, doch dann lächelte er sie verschämt an.
"Verfluchte Scheiße!", knurrte Cedric mit zusammengebissenen Zähnen und zerknüllte die Zeitschrift in seiner Hand. Katja musste Freudenschreie unterdrücken und sie war aufgedreht wie ein kopfloses Huhn. Dass der blonde Hühne verschwand, nahm sie überhaupt nicht wahr, weil sie gar nicht fassen konnte, was sich soeben vor ihren Augen abgespielt hatte. Wow, das lief ja noch viel besser als alles, was sie sich jemals je erhofft hatte! Sie hatte nur ein normales Gespräch erwartet und nicht gleich einen Kuss!
"Jetzt aber schnell zurück, bevor ich den beiden unterwegs noch auf dem Heimweg begegne!", dachte sich Katja beglückt und brüllte innerlich vor Freude.
________________________________________________________________
Während der Heimfahrt hatten die beiden kein Wort mehr miteinander gewechselt. Die Stimmung war so aufregend und neu, dass Nia schlicht die Worte fehlten. Auf so eine Situation hatte sie Katja nicht vorbereitet! Und Salvatore spürte, dass nichts, was er jetzt noch sagen würde, sie tatsächlich erreichen würde. Ehrlich gesagt war er selbst verblüfft über seine Aktion – und vor allem über ihre Reaktion.
Stattdessen verabschiedete er sie am Eingang des Mädchenwohnheims und winkte, bevor sie hineinging. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, rutschte sie daran herunter.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Was war passiert?! Hatte sie gerade wirklich ihren Schwarm Salvatore Zefalus geküsst? Vorsichtig berührte sie ihre heißen, roten Lippen. Sofort versetzte die Erinnerung daran die Schmetterlinge in ihrem Bauch in helle Aufregung. Er war so zärtlich und liebevoll gewesen... So musste sich eine Prinzessin fühlen, wenn sie aus einem hundertjährigen Schlaf geweckt werden würde! Mit immer noch klopfendem Herzen schaute sie verträumt auf.
Und erstarrte.
Sie stieß einen unterdrückten Schreckensschrei aus, denn am Geländer lehnte Cedric Urs! "W-Was machst du hier?", keifte sie und rappelte sich schnell auf, "Das hier ist das Mädchenwohnheim!" Als er keine Antwort gab, stemmte sie die Fäuste in die Hüfte und meckerte: "Dir gefällt es also nicht nur auf Damentoiletten, sondern auch im Mädchenwohnheim? Verschwi-!" "Warum hast du dich küssen lassen, Nia Toshiki?" Eine beinahe körperlose, eiskalte Stimme durchschnitt die Luft. Das Mädchen zuckte zusammen, als sei es geschlagen worden. Mit hochroten Kopf taumelte sie einen Schritt zurück, doch sie fing sich sehr schnell wieder.
"Wie bitte? Woher? Warum? Was willst du eigentlich?!", fauchte sie und funktelte Cedric bösartig an. "Hast du mich verfolgt?" Der Blonde reagierte nicht, sondern starrte einen undefinierbaren Punkt an der Wand an, während sich seine Hände in der Tasche zu Fäusten ballten. Seine Kehle war ausgedörrt und er kochte, als die Bilder vor seinem inneren Auge revue passierten. "Was geht dich das an, von wem ich mich küssen lasse? Das ist ja wohl ganz allein meine Sache!", schrie sie ihn an und stellte sich direkt vor ihm. "Es geht dich überhaupt nichts an, Cedric Urs! Und jetzt mach, dass du wegkommst!"
"Es geht mich sehr wohl etwas an!", knurrte er und machte einen Schritt auf sie zu. Gegen ihren Willen wich sie zurück, bis sie mit dem Rücken an der kalten, rauen Wand stand. Doch sie ließ sich davon nicht aus der Fassung bringen.
"Du bist ein Mitschüler, weiter nichts!", sagte Nia mit weiterhin entschlossenem Blick und fügte wütend hinzu: "Und zudem kann ich dich nicht austehen!" Cedrics Augen weiteten sich erschrocken. "Wie bitte?", flüsterte er leise und vernehmlich. Sein soeben noch kochendes Blut gefror augenblicklich bei diesen unerwarteten Worten.
"Ich hasse dich.", schleuderte sie ihm entgegen und es war, als hätte sie einen Schalter umgelegt. Mit einer schnellen Bewegung hatte er Nia mit seinen Händen förmlich an die Wand genagelt. Sie konnte sogar sein Shampoo riechen, so unangenehm nah war er ihr. Ihr Herz schlug schneller. Was wollte er tun? Er war im Mädchenwohnheim und es sollte jeden Augenblick jemand kommen, wenn sie jemand hörte! Sie wand sich, doch Cedric hielt sie problemlos und ohne ersichtlichen Kraftaufwand fest.
"Sag das nicht noch einmal, Nia Toshiki!", knirschte er und seine beinahe schwarzen Augen wirkten wie scharfe Messer. Seltsam sicher erwiderte sie: "Glaubst du ernsthaft, du kannst mir den Mund verbieten? Ich hasse dich!" Nun war es an ihm, zusammen zu zucken. Anscheinend verletzte ihn das. Nia fühlte sich mächtig, als sie sah, dass es ihm nahe ging. "Ich hasse dich!", wiederholte sie erneut. "Hör auf!", zischte er und umklammerte ihre Handgelenke noch fester. "Ich hasse dich, Cedric Urs! Lass mich los, du Perverser! Ich hasse dich!", schrie sie nun in Panik. Warum war niemand da? Warum hörte sie keiner? Was hatte er mit ihr vor? Was wollte er von ihr? Ihre Handgelenke schmerzten und es war, als wäre sie in einem Schraubstock gefangen. Es gab kein Entkommen. "Ich hasse dich! Lass mich los!", kreischte sie, doch Cedric geriet in Panik, als er sie schreien hörte. Das Blut in seinen Ohren rauschte. Er musste sie zum Schweigen bringen, egal wie! Sie durfte das nicht sagen, sie durfte das einfach nicht sagen! "Du zerstörst alles! Er zerstört alles!", keuchte er, als sie inzwischen aus voller Kehle schrie. Feine Schweißperlen rannen seine Stirn herab. "Hilfe! So hilf mir doch jemand!"
Cedrics Verstand setzte aus. Nia war keine dreißig Zentimeter von ihm entfernt, er konnte sogar ihre Körperwärme spüren... Die hautenge Jeans und das tiefausgeschnittene Top zogen die Blicke regelrecht auf sich. Ihre Haare glänzten und sie duftete verführerisch nach Flieder. Jene Blume, die in der Blumensprache "erste Liebe" bedeutete... Der blonde Hühne knirschte mit den Zähnen. Er hatte sie mit seinen Bärenkräften förmlich an die Wand genagelt. Inzwischen pochte sein Herz so stark, dass er nichts mehr wirklich wahrnahm. Sein panischer Blick fiel auf ihren Kussmund. Der Mund, den dieser erbärmliche Salvatore Zefalus zuvor geküsst hatte. Er... er...
Ohne nachzudenken küsste er sie.
Sofort versiegten Nias Rufe und sie weitete erschrocken die Augen. Der Kuss war gänzlich anders als der von Salvatore – seiner war sanft und leicht wie eine frische Brise gewesen. Cedrics Kuss war hart und fordernd. Seine Lippen waren eiskalt, aber sie konnte sein feuriges Verlangen regelrecht spüren. Nia wandte sich, aber es gab kein Entkommen. Er konnte ihren Widerstand schwinden spüren. Er wollte, dass sie nur ihm gehörte. Nur ihm und nicht Salvatore Zefalus. Doch plötzlich spürte er einen Ruck durch sie gehen und sah, wie sie einen Punkt schräg hinter ihm fixierte. Blitzschnell löste er sich von ihr und erstarrte.
Hinter ihm standen Katja, Salvatore und eine Lehrerin!
"Bitte Ruhe! Abschlussprüfung!"
Das Mädchen wusste gar nicht mehr, wie ihr zumute war. In einer Sekunde war ihr kochend heiß und ihr Herzschlag beschleunigte sich derart, dass ihr schwindlig wurde. In der nächsten Sekunde hatte sie Schüttelfrost. Ihr Magen krampfte sich zusammen und ihr wurde schlecht vor lauter Nervosität. Absolut nichts wusste sie! Ihr Gehirn war leergefegt wie ein Tresor nach einem Überfall und selbst auf die Frage hin, wie sie hieße und wie alt sie sei wüsste sie gerade keine Antwort. Was, wenn sie nicht bestand? Oh Gott, warum mussten sie Mathe schreiben? Warum musste man überhaupt Mathe schreiben? Nein – wozu gab es überhaupt Abschlussprüfungen? Konnte jetzt nicht einfach ein Meteorit herabschnellen oder die Zombieapokalypse ausbrechen? Für beide Fälle fühlte sie sich gewappneter als für die Matheabschlussprüfung!
Eiskalte Fingerspitzen krallten sich in ihre Brust und sie bemerkte gar nicht, wie sich die Türen öffneten und Katja sie sanft in den Arm nahm. Mechanischen Schrittes ging sie hinter einem großen blonden Jungen hinterdrein, den sie aber nicht wahrnahm. Cedric Urs blickte besorgt über die Schulter auf das aschfahle, zitternde Mädchen. Selbst mit einer ganzen Packung Beruhigungsmittel hätte man sie wohl kaum noch geradebiegen können.
Während Nia über die verhängnisvolle Schwelle der Halle trat, ließ sie die letzte Woche Revue passieren. Wo war nur die Zeit geblieben?
________________________________________________________________
Letzte Woche.
Selbst jetzt noch spürte sie das Herzflattern. Fast hätten ihre Knie nachgegeben, als sie Salvatores Worte vernahm. Er hatte sich bei ihr entschuldigt und nach einem gemeinsamen Ausflug an die Uni zu einer öffentlichen Vorlesung gefragt! Oder kurz gesagt: Sie hatte ein Date mit Salvatore Zefalus. Ihrem Schwarm!
Ein D-a-t-e! Eines dieser magischen Events der Teenagerzeit, die man sich nicht vorstellen kann – erst recht nicht mit dem Jungen, den man mag. Und erst recht nicht mit dem Schulschwarm!
Keine zehn Sekunden nachdem Salvatore aus ihrem Blickfeld verschwunden war, kam Katja angerannt. Sie flog regelrecht über den Schulhof auf sie zu – beachtliche Leistung dafür, dass sie sonst eher im hinteren Drittel beim Sport war. Atemlos hielt ihre beste Freundin vor ihr an, ihre Wangen glühend, ihr Blick hocherregt. Ihre feingliedrigen Finger umfassten Nias Schulter fest. In ihrem Gesicht stand nur eine Frage geschrieben, die sie auch nicht auszusprechen brauchte. Es war einfach viel zu offensichtlich und zudem könnte das schwarzhaarige Mädchen eh nicht lange hinterm Berg halten.
"Er... Er hat mich gefragt, ob ich mit ihm eine Vorlesung zur japanischem Mythologie besuchen möchte.", flüsterte Nia tonlos mit entrücktem Blick auf der Stelle, wo Salvatore soeben noch gestanden hatte. Unverwandt und stürmisch umarmte Katja sie und jubilierte. "Oh mein Gott, Nia!! Du hast ein Date mit Salvatore Zefalus!!!", brüllte sie aus voller Kehle, sodass ich ihre Stimme am Satzende förmlich überschlug. Katja musste direkt husten, weil sie ihre Stimmbänder überstrapaziert hatte. Erst jetzt stahl sich ein kleines und schließlich ein immer strahlenderes Lächeln auf die Lippen der schüchternen Schülerin. "Ja! Ja, das hat er!", wisperte sie atemlos und erwiderte die Umarmung.
"Ich werde dich so herausputzen, dass er direkt auf die Knie fällt und dich anfleht ihn zu heiraten, sobald er dich sieht!", stieß Katja mit einem triumphalen Grinsen aus. Nia wurde allein bei dem Gedanken puterrot. Sie konnte sich nicht einmal ein Date mit ihm ausmalen, geschweige denn eine... eine... Heir-! Ihre beste Freundin bemerkte ihren Blick und lachte aus voller Kehle. "Du bist so niedlich, dich würde man sogar heiraten wollen, wenn du in einem Kartoffelsack ankämst! Und keine Sorge: Kein Junge ist so voreilig wie ich es bin!" Sie klopfte dem schwarzhaarigen Mädchen kräftig auf die Schulter und murmelte: "Was eigentlich vergeudete Zeit ist, wenn man den Richtigen gefunden hat."
Nia nickte stumm und glühte direkt. "Er hat sich auch für gestern entschuldigt, stell dir vor!" Plötzlich legte Katja ihre makellose Stirn in Falten. "Gestern?", echote sie und Nia schlug sich mit der Hand vor den Mund, nachdem die Brünette die Umarmung etwas gelockert hatte.
Mit niedergeschlagenen Augen erzählte sie ihr von den schrecklichen Ereignissen des gestrigen Tages. Dabei knetete sie sich die kalten Fingerspitzen.
Als ihr Bericht ein Ende fand, konnte Nia direkt die abstrahlende Hitze von Katjas kochendem Blut spüren. Ohne Probleme hätte sie zweibeinige Wärmflasche oder als Heizkraftwerk verwendet werden können. Ihr Ausdruck war finster und tödlich. Ihr ganzes Gebaren hatte etwas furchterregendes und vorbeigehende Schülerinnen und Schüler zuckten zusammen, als sich ihre Blicke mit dem von Katja kreuzten. "Das werde ich ihnen niemals verzeihen...", knurrte sie kaum hörbar und Nia legte vorsichtig ihre zitternde Hand auf die Schulter ihrer besten Freundin.
"Du kannst von Glück sagen, dass Cedric Urs dir zuhilfe gekommen ist, sonst...", verhängnisvoll verschluckte sie den Rest des Satzes und schaute in die meerblauen Augen von Nia. "Nur weil sie sich nicht wehren kann...", dachte Katja grimmig und betrachtete den zierlichen Körperbau und die verschreckten, großen Kulleraugen des schwarzhaarigen Mädchens. Es war ohnehin verwunderlich, dass Nia nicht schon ganz allgemein Zielscheibe von Gemeinheiten worden war – sie war einfach das "typische Opfer", wie Katja es aus anderen Fällen kannte. Sie hätte sich am liebsten selbst auf die Schulter geklopft, dass sie bislang alle Übergriffe mit ihrer bloßen Anwesenheit abgewendet hatte... Aber das ausgerechnet so etwas passierte, wenn sie mal einen Tag lang nicht anwesend war...! Ihre Denkfalten wurden noch tiefer. Cedric Urs hatte sie also beschützt, obwohl Nia ihn wirklich mit einer Leidenschafft hasste, die sie von ihrer besten Freundin her gar nicht kannte... Und es war auch jener Cedric Urs, der die "beauftragten" Karteikarten in ihren Spind schmuggelte. Das war äußerst dubios, aber sie konnte sein Verhalten noch nicht eindeutig einschätzen.
Kurzerhand beschloss Katja, das ganze noch ein wenig zu beobachten. Nia hatte keine Ahnung, dass ihr Banknachbar dahintersteckte und Katja wollte herausfinden, ob dort gewisse Gefühle im Spiel waren... Insgeheim grinste sie bei dem Gedanken darüber. Cedric Urs war wirklich ein schneidiger Bursche – wäre er nicht so eiskalt und abweisend sowie sozial inkompetent, wäre er wie Salvatore Zefalus ein wahrer Frauenschwarm! Tja, selbst Schuld. Allerdings sah sich Katja noch nicht veranlasst, dem einen oder anderen kampflos das Feld zu räumen – an die süße Nia kam so schnell niemand heran, ohne sich als würdig erwiesen zu haben!
Als ihre beste Freundin sie umarmte, wurde sie aus ihrem Gedankensog gezogen. Ihr finsterer Blick hellte sich auf. "Sorry meine Hübsche! Lass uns den heutigen Tag schnell hinter uns bringen und dann werde ich dich in eine Prinzessin verzaubern, verlass dich drauf!", strahlte sie wieder über beide Ohren, als wäre der tödliche Blick soeben nur Einbildung gewesen. Fröhlich nahm sie Nia bei den Händen und schleifte sie in Richtung Klassenzimmer – natürlich nicht ohne sie vorher geschickt an ihrem Spind zu postieren. Sehr geschäftigt verabschiedete sich Katja schon mal in den Klassenraum und ließ Nia allein stehen. Ohne nachzudenken öffnete die Schülerin ihr Schließfach, wobei ihr wieder die altvertrauten Karteikarten entgegenflatterten. Seltsamerweise hatte es inzwischen nichts beunruhigendes mehr an sich, sondern eher etwas tröstendes: Es gab jemanden, der sie anscheinend fördern wollte. Schnell wandte sie ihren Blick nach links und rechts und las die Tagesaufgaben. Sofort verzog sie seufzend die feinen Gesichtszüge und kritzelte resigniert etwas darauf. Nachdem sie die Karten geschickt so eingeklemmt hatte, dass sie von einem Wissenden herausgezogen werden konnten, schloss sie das Fach 3107 wieder ab.
________________________________________________________________
Katjas Gedanken rasten.
Schwarze Haare, blaue Augen, filigrane Statur. Ein Kleid. In meerblau, wie ihre Augen. Am besten mit einer schwarzen Schleife wie ihre Haare. Nein! Frustriert kaute sie auf ihrer Lippe herum. Kalte Farben standen Nia nicht... Es musste etwas warmes sein... so wie... ein strahlendes Kanariengelb! Ein Hängerchen mit einer schwarzen Leggins. Katja raufte sich die Haare. Niemals! Nia war überhaupt nicht der Typ für gelb! Das wirkte so aufgezwungen – sie war eher der schüchterne Typ, der keine knalligen Farben trug.
Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Rosa! Ein rosa hautenges Spagetthiträgertop mit V-Ausschnitt und dazu eine blaue, hautenge Jeans mit Strass an der Seite... Und zur Abrundung eine strahlende Swarovski-Haarspange! Jawohl, das war es! Katja strahlte wie ein Atomkraftwerk. Gott, wie sie ihre genialen Ideen liebte! Nia wird fa-bel-haft aussehen! Dieser moderne Touch kombiniert mit ihrer vorteilhaften Figur würde Salvatore Zefalus wortwörtlich in die Knie zwingen! Ha! Das würde sie gerne sehen! Einen sprachlosen Schulschwarm, der das Stottern anfing! Siegessicher und schnaubend vor Stolz ballte Katja die Fäuste. Das nächste Mal wollte sie mit Katja Lagerfeld angesprochen werden, wenn sie bitten durfte!
Mit diesen genialen Gedanken hatte sie den ganzen Vormittag verbracht und inzwischen hatten sich Nias und ihre Wege getrennt.
Beschwingt und leise summend trat sie in den Raum 301, wo ihre zusätzlichen Musikstunden stattfanden. Das Wahlpflichtfach startete gegen Abend. Noch war niemand da und sie ließ sich auf ihren Platz am Fenster fallen. Selbstzufrieden seufzte sie und beobachtete den wolkenfreien Himmel. Belustigt dachte sie an die kleine Szene heute in der Pause... eines Tages würde sie auch solche Gespräche mit Nia führen, so viel war sicher!
Dani, die modebewusste Puppe aus ihrer Klasse hatte ihren beiden Freundinnen Lea und Tamara ihre neueste Errungenschaft präsentiert. Verheißungsvoll hatte sie etwas zwischen beiden Händen gehalten und hatte verschwörerisch geflüstert: "Ihr wisst gar nicht, wofür ich gestern all mein Taschengeld auf einen Schlag ausgegeben habe!" Lea hatte große Augen gemacht. "Etwa die neueste Tasche von Oilily?!" "Oh Lea!", hatte Tamara lachend gestöhnt, "das würde wohl kaum zwischen ihre Hände passen, du Dummerchen!" Jetzt lachten sie alle. "Ich dachte fast, ich müsste es mit purem Gold aufwiegen!", stachelte Dani die anderen weiter an und Katja konnte sich ein Lächeln nicht mehr verkneifen. Selbst sie war neugierig. Bevor die Spannung unerträglich wurde, öffnete sie mit einem laut ausgestoßenen "Tada!" die Hände und präsentierte einen Lippenstift. Zuerst waren sie etwas verdutzt, aber dann fingen sie an, durcheinander zu kreischen. "Oh mein Gott, es ist ein Lippenstift von Dior!" "Diorific mit der sagenhaften Farbe 'Sipping Cognac'!" Die beiden rissen sich förmlich gegenseitig den heiß begehrten Lippenstift aus der Hand. Er sah wirklich hübsch aus, das musste Katja gestehen. Allein das goldene Design mit dem braun wirkte unglaublich kostbar. Sie amüsierte sich köstlich darüber... Nur Frauen konnten sich so über ein Stück gefärbtes Erdöl erfreuen! Leider zeigte Nia so gar kein Interesse an Mode... Nein, das war falsch ausgedrückt: Sie mochte Mode, sie sprach aber kaum darüber und aufgrund mangelnden Geldes konnte sie sich auch nichts kaufen. Seufzend griff sie zu ihrer Schultasche, um ihre Notenblätter herauszufischen. Erschrocken riss Katja ihre Augen auf. So ein Mist, die hatte sie glatt im Klassenzimmer vergessen! Das kam davon, wenn man sich auf das Dateoutfit für die beste Freundin konzentrierte – oder auf Lippenstifteinkäufe diverser Klassenkameraden.
Wenig motiviert schlurfte sie die Gänge entlang, als sie ins verlassene Klassenzimmer tappte. Das feurige Abendrot raubte Katja kurzzeitig die Sicht. Geblendet hielt sie sich die Hand vor die Augen. Innerlich fuhr sie zusammen, als sie eine große, dunkle Gestalt am Fenster stehen sah. Noch hatte er sie nicht bemerkt und gerade, als sie ihn begrüßen wollte, blitzte ein goldener Gegenstand ihr entgegen. In der nächsten Sekunde war er in seiner Hosentasche verschwunden. Das... war doch der "Sipping Cognac" Lippenstift von Dior gewesen, oder...? Katja sog die Luft scharf ein. "Lorcan Medic!", sagte sie freundlich, doch er zuckte zusammen, als wäre er geschlagen worden. Er wirbelte herum. Seine Augen waren furchtvoll geweitet und ohne ein Wort stürzte an der Brünetten vorbei. Es war erstaunlich, wie jemand sich mit der Körpergröße so schnell und geschmeidig bewegen konnte. Im letzten Augenblick sah Katja noch, dass seine Lippen seltsam aussahen...
Als er verschwunden war, blinzelte sie zweimal. Was war denn das gewesen? Einbildung? Oder... Katja geriet ins grübeln. Nein, es gab kein Zweifel.
Beherzt griff sie nach ihren vergessenen Notenblättern unterm Tisch und klemmte sie sich unter den Arm. Als der Gong ertönte wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Mist, jetzt kam sie doch zu spät!
________________________________________________________________
Den Abend und auch die nächsten Tage verbrachte Katja damit, Nia zurechtzumachen. Obwohl sie das Outfit bereits festgelegt hatte, war immer die oberste Devise: Schauen, ob es nicht noch etwas viel besseres gibt! Inzwischen war das ganze Stockbett voller T-Shirts, Trägertops, Tanktops, Hängerchen, Kleider und Spagetthishirts in allen Formen und Farben. Katjas Kleiderschrank hatte ungeahnte Tiefen und sie wurde nicht müde, immer neue Kombinationen auszuprobieren. Auf dem weißen Parkett mit dem hellbraunen Flauschteppich hatte sie ihre sämtlichen Schminkutensilien ausgebreitet, wobei Nia immer leuchtendere Augen bekam. Gerade befand sich Katja im Eingangsbereich, wo sich ein Kleiderständer inzwischen förmlich bog, während sich die Brünette durch ihren perlweißen Schuschrank fräste. Eine grüne Kokosmatte hieß Bewohner sowie Besucher herzlich willkommen. Geradeaus befand sich ihr gemeinsames Schlaf- und Arbeitszimmer mitsamt deckenhohen weißen Kleiderschränken. Diese waren nun sperrangelweit offen und der gesamte Inhalt befand sich mehr außerhalb als innerhalb der Schränke verteilt. An der Tür hing ein riesiges Poster der beiden, welches wie das eines Stars signiert worden war. Nia war das nach wie vor furchtbar peinlich, aber Katja liebte es einfach nur, so etwas ausgefallenes zu tun. Unzufrieden mit ihrer Suche eilte sie schnellen Schrittes nach links ins relativ kleine Bad. Durch die goldgelbe Farbe strahlte es auch bei Nacht einem förmlich entgegen. Die gläserne Duschwand war verziert mit allerlei Window Colour Motiven, darunter auch zahlreiche Hello Kitty Motive. Eine Seite hatte Katja beansprucht und die Anfangszeilen der Mondscheinsonate angezeichnet. Neben dem Spiegel befand sich ein offenes Regal, welches voll mit Duftölen war. Rose, Veilchen, Vanille, Kokos, Mango, Honig... Katjas Sammlung war vielfältig und es war auch das ein oder andere skurille Exportexemplar dabei. Bis heute war der "Hähnchenduft" von beiden Mädchen unangetastet. Zielsicher griff die braunhaarige Schülerin nach einem geschwungenen, lilafarbigen Glas. "Flieder ist perfekt!", rief sie vom Bad aus der wartenden Nia zu. "Flieder steht in der Blumensprache für die erste Liebe!"
Katja konnte regelrecht spüren, wie Nia bis in die Haarspitzen rot wurde. Sie lachte herzhaft. "Jetzt komm schon, welcher Junge beherrscht schon die Blumensprache und sieht es gleich als subtile Botschaft?"
________________________________________________________________
Erst jetzt, ein paar Momente vor der Matheabschlussprüfung, welche einem Weltuntergang glich, fiel ihr all das ein. Die Geschehnisse der letzten Woche.
Und mit lauter unsinnigen, unwichtigen, nebensächlichen, oberflächlichen Kleinigkeiten bezüglich des Dates war die Zeit wie im Flug vergangen. An Lernen war kaum noch zu denken und man wähnte die Abschlussprüfungen noch in weiter Ferne. Es wurden sogar verschiedene Konversationsmöglichkeiten durchgeprobt und vor lauter Schmetterlingen im Bauch wusste Nia weder aus noch ein. Selbst nachts war kaum an Schlaf zu denken – ihre Gedanken überschlugen sich regelrecht bei dem bevorstehenden Ergeignis namens Date. Dennoch trübte etwas Nias gespannte Vorfreude – auch wenn es nichts mit der eigentlichen, größten Sorge zusammehing. "Was ist, wenn die Gerüchteküche uns wieder auflauert?", meinte sie besorgt und ließ den Kopf hängen, während sie nervös ihre Hände knetete.
"Ich werde sie alle erschießen!", dröhnte Katja laut und Nia lachte nervös mit. Sie wusste nicht so recht, ob das wirklich als Scherz gemeint war...
Mit schweißnassen Händen und rauschendem Blut in den Ohren zogen diese Szenen an Nias innerem Auge vorbei, während die Papierbögen und die Angaben ausgeteilt wurden. Die kommenden Stunden würden über ihr Schicksal entscheiden und sie fühlte sich, als würde sie dem Tod ins Auge blicken, als sie die Bögen auseinanderfetzte. Sie musste es mehrmals lesen, bis einigermaßen angekommen war, um was es eigentlich ging. Mit wild klopfendem Herzen erkannte sie, dass sie das ein oder andere im Ansatz schon mal gehört oder gelesen hatte... Wie auch auf den zahlreichen Karteikarten!
Doch die Freude währte nur kurz, denn es kamen unmögliche Ergebnisse heraus. Nia verkrampfte sich immer mehr. Das konnte nicht sein! Das konnte einfach nicht sein! Ihr Atem ging flach und ihre Sicht verschwamm.
Qualvolle drei Stunden später befand sie sich mit tränenfeuchten Augen und tiefdepressiv in einer dunklen Ecke der Aula. Sie hatte sich hingehockt und ihre Beine umschlungen. Den Kopf hatte sie auf die Knie gesenkt, sodass sie nicht bemerkte, dass jemand an sie herantrat.
"Wie lief's?", erkundigte sich eine raue, dunkle Stimme. Nia reagierte nicht.
Sie hatte alles in den Sand gesetzt. Es war vorbei. Ihr Leben hatte keinen Sinn mehr. Nichts war richtig, sie hätte genausogut das leere Blatt abgeben können! Vor lauter Zittern wusste sie zuletzt nicht einmal mehr, wo die Istgleich-Taste am Taschenrechner war. Panik schoss heiß durch ihre Adern, als sie zum wiederholten Male dasselbe, ganz offensichtlich falsche Ergebnis herausbekommen hatte.
Plötzlich spürte sie eine Berührung und zuckte zusammen. Ihr Kopf schnellte nach oben und blickte in das angespannte, blond gerahmte Gesicht von Cedric Urs, der sich neben sie gekniet hatte. "Ich hol dir was zu trink'n. Ich lad' dich ein. Du bist ne Süße, oder?", fragte er und massierte sich währenddessen hektisch und verlegen den Nacken. Seine Wangen waren leicht rosé gefärbt. "M-Mit "Süße" mein' ich 'türlich, dass du gern etwas eher süßes trinkst...!" Nia sah seine geröteten Wangen nicht und verarbeitete auch nicht seine Worte. Ohne Anteilnahme nickte sie – es erschien ihr als sicherste Methode, endlich in Ruhe gelassen zu werden.
"Kopf hoch.", hörte sie von weiter oben und das legte bei ihr einen Schalter um. Wütend funkelte sie ihn an. "Kopf hoch?!", knirschte sie, "Ich hab soeben alles in den Sand gesetzt und total verschissen! Ich kann das Jahr mit absoluter Garantie wiederholen, also wie soll ich da "Kopf hoch" machen?!" Die letzten Worte waren nur noch ein einziges Fauchen. Abwehrend hob Cedric die Hände und ging wortlos in Richtung Getränkeautomat davon. Ihre Zukunft lag vor ihrem inneren Auge in Scherben vor ihr.
Erschöpft, wütend, sauer und immer noch voller Adrenalin blickte Nia auf die Uhr und erschrak: Das Date war in wenigen Stunden und sie musste sich noch fertig machen! Jetzt war keine Zeit zum Trübsal blasen, nachdem sie so viel für dieses einzigartige Ereignis bereits im Voraus getan hatte! Sie eilte ohne nachzudenken davon. Cedric sah gerade noch ihre wehenden schwarzen Haare, als er mit einem Pfirsichsaft um die Ecke bog. "... 'Süße'...", flüsterte er und hielt sich den kühlen Saft an die Stirn, um wieder klarer denken zu können. Danach warf er mit trüben Blick den unangetasteten Getränkekarton in den nächsten Mülleimer.
________________________________________________________________
Kurze Zeit nachdem Nia im Mädchenwohnheim gestürmt war, eilte auch Katja zur Tür hinein und warf alles in die nächstbeste Ecke um sich ihrer besten Freundin zu widmen. Das schwarzhaarige Mädchen musste nichts sagen, sie konnte förmlich spüren, wie es ihr während der Abschlussprüfung ergangen war. Stattdessen fokussierte sie nun all ihre Energie auf die finalen Datevorbereitungen.
"Was darfst du auf gar keinen Fall tun?", quetschte Katja sie aus.
"Ich darf nicht stumm wie ein Fisch sein, obwohl ich so nervös bin, dass ich am liebsten in Ohnmacht fallen würde!", antwortete Nia promt und gedrillt.
"Genau! Das ist nämlich deine große Schwäche – stumm vor Nervosität!", impfte sie die Brünette ein letztes Mal, während sie eine Haarsträhne nach hinten mit der Swarovski-Haarklammer befestigte.
Mit Händen in den Hüften betrachtete Katja ihr fertiges Meisterwerk. "Ich würde dich sofort vom Vorlesungssaal ins Bett schleppen, Süße!", kommentierte sie und beobachtete Nias Farbwechsel: Von normalfarben zu tiefem rot. "Was ich damit sagen wollte", entschärfte Katja ihre Aussage und grinste breit, "du bist einfach hinreißend. Man muss dich einfach küssen!" Zur Bestätigung verpasste sie ihr einen dicken Schmatzer auf die Stirn. "Und jetzt lauf!"
Nia nickte und flüsterte: "Wünsch mir viel Glück!"
Mit diesen Worten war sie aus der Tür verschwunden. Katja ließ drei Minuten vergehen, dann schulterte sie ihre Tasche und schlich sich ebenfalls aus ihrem Wohnheim. Ein solches Ereignis konnte sie sich ja wohl nicht entgehen lassen!
________________________________________________________________
Mit bebenden Händen wartete Nia vor dem Eingang der Universität, bei welcher direkt daneben ein französisch angehauchtes Café angebaut war. Von Salvatore war noch keine Spur zu sehen, aber das war auch nicht weiter verwunderlich, da sie über eine halbe Stunde zu früh war. Trotz der schier ewig langen Vorbereitungszeit war sie überpünktlich und das machte sie noch nervöser. Was, wenn er nicht kam? Oder er sie hässlich fand? Um sie herum tuschelten die Leute schon und deuteten mit einer Kopfbewegung auf sie. Sie musste wirklich grausig aussehen, wenn man schon auf sie zeigte! Ach, wenn doch bloß Katja hier wäre und sie beruhigen könnte! Sie strich sich zum hundertsten Mal eine Haarsträhne aus dem Gesicht, als sie eine samtweiche Stimme hinter sich hörte. "Nanu? Ich dachte ich wäre der erste, aber da war wohl noch jemand früher dran als ich!"
Nia wirbelte mit angehaltenem Atem herum.
Er war es tatsächlich! Ihr Herzschlag setzte aus, als sie ihn in einem weißen Hemd und einer schwarzen Hose sah. Das stand ihm unheimlich gut und Nia lief gegen ihren Willen rot an. Am liebsten wäre sie davongelaufen oder stumm geblieben, aber dann hätte sie Katja – zurecht! - gelyncht.
"H-Hallo Salvatore!", fiepste sie und sie biss sich auf die Zunge, "Ich war schon eher fertig und bin deshalb schon früher hier gewesen..." Sehr gut, sie hatte den eingeübten Satz korrekt und ohne Stottern vorgetragen. Katja wäre stolz auf sie. "Ah, ich verstehe!", sagte Salvatore mit einem kleinen Lächeln, "Du möchtest auch gute Plätze sichern, nicht wahr? Komm, hier geht es lang!" Hoffentlich sprachen sie über alles, aber nicht über die Abschlussprüfungen! Doch ihre galante Begleitung verlor zu ihrer Erleichterung kein Wort darüber.
Nia war noch nie an der Universität gewesen und hatte bis soeben auch überhaupt keinen Gedanken daran verschwendet. Aber als sie die ausladenden, meterhohen Säulen wahrnahm, stand ihr Mund weit offen. Auch die riesige Steintreppe mit dem eingelegten Mosaik und den überdimensional großen, liegenden Figuren am Ende machten sie sprachlos. Während Nia mit glänzenden Augen die gläserne Kuppel betrachtete, musterte Salvatore sie von der Seite. Er war davor im Café gewesen, um sich gegen seinen rebellierenden Magen einen Kaffe zu gönnen. Er hatte einige Minuten überlegt, ob die schwarzhaarige junge Frau vor der Tür Nia sein könnte. Ihre weibliche, aber filigrane Figur wirkten äußerst anziehend in der hautengen Jeans! Erst als er sie auf gut Glück ansprach und sie sich halb umdrehte, erkannte er Nia.
Sein Herz machte einen Satz.
Was büßte ihre Figur bloß in der Schuluniform ein! Dort wirkte sie ja fast wie ein unförmiger Kartoffelsack, wenn er sie jetzt unauffällig anstarrte. Das rosa Top umschmeichelte ihre schlanke Taille und der V-förmige Ausschnitt regte die Fantasie der Männer geradezu an. Er spürte, wie ihm warm wurde. Schnell lenkte er seinen Blick auf ihr Gesicht, ehe sie es bemerkte. Große, meerblaue Augen waren von einem dichten Wimpernkranz umgeben und rostrote Lippen zogen die Aufmerksamkeit regelrecht auf sich. Sein Hals war ganz trocken geworden.
"Wo müssen wir lang?" Salvatore schreckte zusammen, als er Nias fragenden Blick wahrnahm. Mist! Hatte er sich tatsächlich so auf sie konzentriert, dass er vergessen hatte, sie zum Hörsaal zu führen? Der junge Mann räusperte sich. "Dort drüben ist es gleich.", meinte er galant und hatte sich gerade noch rechtzeitig gefangen. Als sie durch die schweren Eichentüren schritten, fing Nia an zu strahlen. "Wahnsinn, das ist ja... riesig...!", stieß sie atemlos aus und Salvatore musste lächeln. Das erinnerte ihn an ihre Begeisterung bei der Dekoration von Katjas Konzert. Es war aber auch wirklich beeindruckend – 700 Stühle standen in Reih und Glied vor einem erhöhten Rednerpult. An der Decke breitete sich der Sternenhimmel der Nordhalbkugel über ihnen aus, wobei nicht nur die Sterne, sondern auch die symbolhaften Sternbilder eingezeichnet waren. Alles schimmerte golden im Licht der Sonne und schaffte seine ganz eigene Atmosphäre. Im krassen Kontrast hob sich die meterhohe Leinwand für die Präsentation ab, auf der der Name der Veranstaltung und des Dozenten stand. Es waren bereits einige Zuhörer anwesend, sodass man bei geschlossenen Augen meinte, man befinde sich in einem Bienenstock.
Die beiden suchten sich einen Platz in den vorderen Reihen. "Besuchst du öfters solche Veranstaltungen?", wollte Nia wissen und ging geistig die ein oder andere auswendig gelernte Frage durch. Einerseits fühlte es sich an, als würde sie schummeln, aber andererseits gab es ihr auch eine gewisse Sicherheit und sie konnte mehr über ihren Schwarm in Erfahrung bringen. Salvatore schlug die Beine übereinander, bevor er antwortete. "Ehrlich gesagt, nein. Ich bin heute zum ersten Mal hier." Nias Augen weiteten sich. "Z-Zum ersten Mal? Aber woher wusstest du dann...?" "Woher ich von der Vorlesung wusste? Nun ja, sie war in der Zeitung ausgeschrieben...", meinte er bescheiden und massierte seinen Nacken. Das Mädchen schüttelte den Kopf. "Woher wusstest du, wo dieser Saal ist?" Salvatore verharrte in seiner Bewegung und musste lachen. "Aber Nia, hast du die Schilder nicht gesehen?" Nun lief die Schwarzhaarige rot an. Wie peinlich, so eine dumme Frage zu stellen! Verlegen kühlte sie ihre Backen mit ihren Händen, doch es halft nicht wirklich, die Rötung zu verringern.
Beide betrachteten aufmerksam die anderen Besucher und es dauerte nicht lang, da schnappte sich der Professor sein umhängbares Mikrophon und startete seine Präsentation über japanische Mythologie. Nia schien regelrecht jedes Wort in sich aufzusaugen und sie bemerkte Salvatore gar nicht, als er sie fragte, ob es ihr gefiel. Lächelnd lehnte er sich zurück und lauschte dem Vortrag. Gerade ging es darum, dass Speichel und Sekrete ein ganz besonderer Saft in der Myhtologie waren, sozusagen der "Lebenssaft".
Atemlos und mit vor Aufregung geröteten Backen standen sie nach zwei Stunden wieder vor dem Säuleneingang. "Ich hätte nie gedacht, dass der Kampf der Amaterasu gegen Orochi so spannend berichtet und von unterschiedlichen Seiten beleuchtet werden kann! Und dann auch noch der Spiegel im Ise-Schrein über dem 'erlauchten Herzpfosten'! Den würde ich ja zu gerne Mal sehen!", sprudelte Nia regelrecht über. Salvatore lächtelte mild. "Dazu müsstest du Kaiserin werden." Voller Enthusiasmus wandte sie sich ihrem Schwarm zu. "Meinst du, das würde gehen?" Ihre Augen funkelten.
"So wie du heute aussiehst, würde dich jeder gerne zur Kaiserin krönen.", meinte Salvatore und er konnte direkt beobachten, wie Nia erstarrte und rot wie eine Tomate wurde. Verschwunden war ihre wilde, überschäumende Begeisterung, die der schüchternen, verlegenen Nia wich. Ihre Röte steckte an und auch Salvatores Wangen nahmen ein leichtes rosé an. "Ähm, was ich eigentlich fragen wollte...", sagte er und deutete sichtlich verlegen auf das Café, "Hast du vielleicht Lust noch ein wenig im Café zu quatschen?" Nias Herz machte Luftsprünge. Sie nickte so heftig, dass sich eine Strähne aus der Haarspange stahl.
Beide lächelten und machten es sich in der Sonne auf den gepolsterten Holzstühlen bequem. Von innen konnte man Coralie Cléments süß-verträumtes Lied "La Mer Opale" hören. Gedämpftes Geschirrgeklapper und der Duft frisch gerösteten Kaffees vervollkommneten das Bild. Auf der blau-weiß-rot-gestreiften Tischdecke lagen bereits zwei ledergebundene Speisekarten mit der verzierten Goldprägung des Cafénamens darauf: "Le rêve". Nachdem sie die Karten studiert und zur Seite gelegt hatten, kam sofort ein Ober zu ihnen. Seine schwarze Uniform mit der weißen Schürze und einem Schnurrbart verströmten ebenfalls französisches Flair. Mit Freuden notierte er zwei Zitroneneis.
Während sie warteten, drängte sich Nia eine Frage auf: Salvatore sah so gut aus und war der Schwarm aller Frauen des Campus... Er musste doch eine Freundin haben, oder etwa nicht? Es musste sehr offensichtlich gewesen sein, dass sie etwas beschäftigte, denn sanft fragte Salvatore: "Was beschäftigt dich?" Nias Augen weiteten sich erschrocken, als hätte er ihre Gedanken gelesen. "Ähm... nichts, danke!" "Es ist immer bedenklich, wenn Frauen 'nichts' sagen. Dir brennt etwas auf der Seele, das sehe ich!", meinte Salvatore felsenfest überzeugt und stützte sein Kinn auf seine Hand, während er sie schief anlächelte.
"Aber das ist so peinlich, das kann ich nicht fragen!", nuschelte sie und fixierte die Beschwerung der Tischdecken in Form von Eiffeltürmen.
"Jetzt machst du mich erst recht neugierig!", lachte er und seine Augen funkelten dabei verschwörerisch. "Sags ruhig, ich werde auch nicht lachen, versprochen." Nia schaute abwechselnd ihn und wieder die Tischdecke in den Farben der Tricolore an. Anscheinend klaubte sie gerade jeden Funken Mut zusammen, den ihr kleiner Körper innehatte.
Sie holte tief Luft und stotterte: "H-Hast du eine F-Freundin?"
Beinahe hätte Salvatore den Eisbecher fallengelassen, den er gerade dem Ober abgenommen hatte. Mit so einer Frage hatte er in der Tat nicht gerechnet! Er schaute ihr tief in die Augen, während er versuchte das verschüttete Eis unauffällig wegzuwischen. Ein Lächeln umspielte seine moosgrünen Augen. "Hättest du denn gerne, dass ich eine habe?", fragte er stattdessen und beobachtete amüsiert Nias Reaktion.
"Nein!", stieß sie aus und sie lief rot an. "Ich meine... doch, das wäre schön für dich... aber... nein... ich meine... ah... ich weiß nicht...!" Je weiter sie redete, desto kleinlauter und leiser wurde sie. Salvatore wurde ganz warm ums Herz.
Keine fünf Meter weiter stand Katja hinter einer Werbesäule und beobachtete das Ganze. Am liebsten hätte sie vor Freude aufgeschrien, als Salvatore ihre Nia in das Café führen wollte. Zu etwas anderem hätte sie ihm auch nicht geraten, sonst hätte es Tote gegeben! Ihr Lächeln reichte von einem Ohr bis zum anderen, als ihr Atem plötzlich stockte:
War da etwa zwei Meter weiter Cedric Urs am Brunnen, der ebenfalls ganz gebannt Nia und Salvatore im Auge behielt?! Wütend stapfte sie herüber und tippte ihrem Klassenkameraden unsanft auf die Schulter. Schuldbewusst drehte er sich um. "Ich wusste, dass du da bist. Brauchst dir nichts einbilden, ich bin nur zufällig vorbeigekommen." Er seufzte und rieb sich die Nase.
"Klar, zufällig ist man am Ende des Campus bei der Universität, obwohl man als Realschüler gerade seine erste Abschlussprüfung hinter sich hat und eigentlich etwas ganz anderes tun sollte.", feixte Katja und starrte ihn an. Zu der to do Liste nach der vollendeten Abschlussprüfung zählte eher schlafen und Party machen. Wütend stemmte sie ihre Hände in die Hüften.
"Warum duftet Nia nach Flieder?", lenkte der Blondschopf ab, "Das ist doch wohl keine Anspielung auf die Bedeutung, oder?" Die Brünette erstarrte. "Welche Bedeutung?", fragte sie gespielt unwissend, da sie ihren Ohren nicht traute. Cedric wandte sich mürrisch ab. "Blumen haben Bedeutungen. Flieder bedeutet: 'Erste Liebe'. Pah!", schnaubte er. Seit wann kannten sich Jungs mit der Blumensprache aus? Und... wie hatte er das bitte auf die Entfernung riechen können? Das konnte ja kein Mensch! Gerade als Katja etwas erwidern wollte, bemerkte sie seinen starren Blick. Blitzschnell wandte sie sich wieder den beiden Turteltäubchen zu.
Verlegen griff Nia nach dem langen, kunstvoll verzierten Silberlöffel und nahm den ersten Löffel Eis. Man konnte direkt beobachten, wie sie anfing zu strahlen. "Das ist ja total lecker!", freute sie sich und schaute Salvatore mit ihren großen, meeresblauen Augen an. "Ich hab noch nie in meinem Leben Zitroneneis gegessen!" Salvatore hielt mitten in der Bewegung inne und starrte sie an. Wie konnte man sich so niedlich über ein Eis freuen? Seine Hände kribbelten. Es überkam ihn und er erhob sich leicht aus seinem Stuhl, um Nias Kinn sanft anzuheben. Bevor Nia wusste, wie ihr geschah, küsste Salvatore sie. Die Berührung war sanft die ein Schmetterling und gleichzeitig genauso unwirklich. Und es schmeckte nach Zitroneneis. Nia lief über und über rot an und ein ganzer Schwarm an Schmetterlingen tanzte in ihrem Bauch. Ihr Schwarm setzte sich wieder hin. Etwas verlegen verdeckte Salvatore sein Gesicht kurzzeitig mit der Hand, doch dann lächelte er sie verschämt an.
"Verfluchte Scheiße!", knurrte Cedric mit zusammengebissenen Zähnen und zerknüllte die Zeitschrift in seiner Hand. Katja musste Freudenschreie unterdrücken und sie war aufgedreht wie ein kopfloses Huhn. Dass der blonde Hühne verschwand, nahm sie überhaupt nicht wahr, weil sie gar nicht fassen konnte, was sich soeben vor ihren Augen abgespielt hatte. Wow, das lief ja noch viel besser als alles, was sie sich jemals je erhofft hatte! Sie hatte nur ein normales Gespräch erwartet und nicht gleich einen Kuss!
"Jetzt aber schnell zurück, bevor ich den beiden unterwegs noch auf dem Heimweg begegne!", dachte sich Katja beglückt und brüllte innerlich vor Freude.
________________________________________________________________
Während der Heimfahrt hatten die beiden kein Wort mehr miteinander gewechselt. Die Stimmung war so aufregend und neu, dass Nia schlicht die Worte fehlten. Auf so eine Situation hatte sie Katja nicht vorbereitet! Und Salvatore spürte, dass nichts, was er jetzt noch sagen würde, sie tatsächlich erreichen würde. Ehrlich gesagt war er selbst verblüfft über seine Aktion – und vor allem über ihre Reaktion.
Stattdessen verabschiedete er sie am Eingang des Mädchenwohnheims und winkte, bevor sie hineinging. Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, rutschte sie daran herunter.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Was war passiert?! Hatte sie gerade wirklich ihren Schwarm Salvatore Zefalus geküsst? Vorsichtig berührte sie ihre heißen, roten Lippen. Sofort versetzte die Erinnerung daran die Schmetterlinge in ihrem Bauch in helle Aufregung. Er war so zärtlich und liebevoll gewesen... So musste sich eine Prinzessin fühlen, wenn sie aus einem hundertjährigen Schlaf geweckt werden würde! Mit immer noch klopfendem Herzen schaute sie verträumt auf.
Und erstarrte.
Sie stieß einen unterdrückten Schreckensschrei aus, denn am Geländer lehnte Cedric Urs! "W-Was machst du hier?", keifte sie und rappelte sich schnell auf, "Das hier ist das Mädchenwohnheim!" Als er keine Antwort gab, stemmte sie die Fäuste in die Hüfte und meckerte: "Dir gefällt es also nicht nur auf Damentoiletten, sondern auch im Mädchenwohnheim? Verschwi-!" "Warum hast du dich küssen lassen, Nia Toshiki?" Eine beinahe körperlose, eiskalte Stimme durchschnitt die Luft. Das Mädchen zuckte zusammen, als sei es geschlagen worden. Mit hochroten Kopf taumelte sie einen Schritt zurück, doch sie fing sich sehr schnell wieder.
"Wie bitte? Woher? Warum? Was willst du eigentlich?!", fauchte sie und funktelte Cedric bösartig an. "Hast du mich verfolgt?" Der Blonde reagierte nicht, sondern starrte einen undefinierbaren Punkt an der Wand an, während sich seine Hände in der Tasche zu Fäusten ballten. Seine Kehle war ausgedörrt und er kochte, als die Bilder vor seinem inneren Auge revue passierten. "Was geht dich das an, von wem ich mich küssen lasse? Das ist ja wohl ganz allein meine Sache!", schrie sie ihn an und stellte sich direkt vor ihm. "Es geht dich überhaupt nichts an, Cedric Urs! Und jetzt mach, dass du wegkommst!"
"Es geht mich sehr wohl etwas an!", knurrte er und machte einen Schritt auf sie zu. Gegen ihren Willen wich sie zurück, bis sie mit dem Rücken an der kalten, rauen Wand stand. Doch sie ließ sich davon nicht aus der Fassung bringen.
"Du bist ein Mitschüler, weiter nichts!", sagte Nia mit weiterhin entschlossenem Blick und fügte wütend hinzu: "Und zudem kann ich dich nicht austehen!" Cedrics Augen weiteten sich erschrocken. "Wie bitte?", flüsterte er leise und vernehmlich. Sein soeben noch kochendes Blut gefror augenblicklich bei diesen unerwarteten Worten.
"Ich hasse dich.", schleuderte sie ihm entgegen und es war, als hätte sie einen Schalter umgelegt. Mit einer schnellen Bewegung hatte er Nia mit seinen Händen förmlich an die Wand genagelt. Sie konnte sogar sein Shampoo riechen, so unangenehm nah war er ihr. Ihr Herz schlug schneller. Was wollte er tun? Er war im Mädchenwohnheim und es sollte jeden Augenblick jemand kommen, wenn sie jemand hörte! Sie wand sich, doch Cedric hielt sie problemlos und ohne ersichtlichen Kraftaufwand fest.
"Sag das nicht noch einmal, Nia Toshiki!", knirschte er und seine beinahe schwarzen Augen wirkten wie scharfe Messer. Seltsam sicher erwiderte sie: "Glaubst du ernsthaft, du kannst mir den Mund verbieten? Ich hasse dich!" Nun war es an ihm, zusammen zu zucken. Anscheinend verletzte ihn das. Nia fühlte sich mächtig, als sie sah, dass es ihm nahe ging. "Ich hasse dich!", wiederholte sie erneut. "Hör auf!", zischte er und umklammerte ihre Handgelenke noch fester. "Ich hasse dich, Cedric Urs! Lass mich los, du Perverser! Ich hasse dich!", schrie sie nun in Panik. Warum war niemand da? Warum hörte sie keiner? Was hatte er mit ihr vor? Was wollte er von ihr? Ihre Handgelenke schmerzten und es war, als wäre sie in einem Schraubstock gefangen. Es gab kein Entkommen. "Ich hasse dich! Lass mich los!", kreischte sie, doch Cedric geriet in Panik, als er sie schreien hörte. Das Blut in seinen Ohren rauschte. Er musste sie zum Schweigen bringen, egal wie! Sie durfte das nicht sagen, sie durfte das einfach nicht sagen! "Du zerstörst alles! Er zerstört alles!", keuchte er, als sie inzwischen aus voller Kehle schrie. Feine Schweißperlen rannen seine Stirn herab. "Hilfe! So hilf mir doch jemand!"
Cedrics Verstand setzte aus. Nia war keine dreißig Zentimeter von ihm entfernt, er konnte sogar ihre Körperwärme spüren... Die hautenge Jeans und das tiefausgeschnittene Top zogen die Blicke regelrecht auf sich. Ihre Haare glänzten und sie duftete verführerisch nach Flieder. Jene Blume, die in der Blumensprache "erste Liebe" bedeutete... Der blonde Hühne knirschte mit den Zähnen. Er hatte sie mit seinen Bärenkräften förmlich an die Wand genagelt. Inzwischen pochte sein Herz so stark, dass er nichts mehr wirklich wahrnahm. Sein panischer Blick fiel auf ihren Kussmund. Der Mund, den dieser erbärmliche Salvatore Zefalus zuvor geküsst hatte. Er... er...
Ohne nachzudenken küsste er sie.
Sofort versiegten Nias Rufe und sie weitete erschrocken die Augen. Der Kuss war gänzlich anders als der von Salvatore – seiner war sanft und leicht wie eine frische Brise gewesen. Cedrics Kuss war hart und fordernd. Seine Lippen waren eiskalt, aber sie konnte sein feuriges Verlangen regelrecht spüren. Nia wandte sich, aber es gab kein Entkommen. Er konnte ihren Widerstand schwinden spüren. Er wollte, dass sie nur ihm gehörte. Nur ihm und nicht Salvatore Zefalus. Doch plötzlich spürte er einen Ruck durch sie gehen und sah, wie sie einen Punkt schräg hinter ihm fixierte. Blitzschnell löste er sich von ihr und erstarrte.
Hinter ihm standen Katja, Salvatore und eine Lehrerin!